Konnte vergangene Nacht kein Auge zutun, weil mich das Schicksal von Alexander Schmidt nicht zur
Ruhe kommen ließ.
Hab mir dann heute einen Tag frei genommen und bin zur Wahrsagerin gegangen. Nachdem ich
einen 100-Euro-Schein hingeblättert habe, durfte ich in ihre Glaskugel schaun.
Zuerst konnte ich nichts erkennen, dann einen Zwerg, aber ohne Mütze. Halt, das ist ja Till
Müller mit seinem Vollbart! Nun erkenne ich alles deutlich: Till Müller eröffnet gerade eine
Pressekonferenz mit folgenden Worten:
"Heute haben wir die Presse eingeladen, weil Prof. Dr. Christian Keller eine wichtige und für die Zukunft
unseres geliebten Vereins SSV Jahn Regensburg richtungsweisende Entscheidung bekannt geben
möchte. Herr Prof Dr. Keller, ich darf das Wort an Sie übergeben?"
"Alexander Schmidt wird heute mit sofortiger Wirkung freigestellt."
Schweigen im Raum. Dann ein langer Räusperer. Heinz Reichenwallner ergreift das Mikro:
"Herr Keller, damit verstossen Sie aber gegen ihre ureigenste Überzeugung, die Sie ihren Studenten
an der Uni Heidelberg gelehrt haben und über die sie doch ein Buch publiziert haben. Trainerwechsel
sollen demnach kurz- oder mittelfristig nichts bringen."
Keller grinst:
"Der Meinung bin ich immer noch. Mein mit 5 Sternchen bewertetes Werk wird von der Fußballwelt,
nicht nur hier in Deutschland, geradezu zur Bibel des Fußballmanagers der Zukunft."
Kurzer Räusperer. Reichenwallner hakt nach:
"Aber Herr Keller, wie begründen Sie jetzt den Rauswurf von Schmidt?"
Keller, wieder grinsend:
"Ich habe eine Umfrage innerhalb der Mannschaft und unter den Fans durchgeführt. 100 Prozent
der Fans und 96 Prozent der Spieler wollen, das Alexander Schmidt geht. Somit muß ich Schaden
vom Verein abwenden. Mein Handeln ist alternativlos. Meine These bezüglich eines Trainerwechsels
ist natürlich immer noch gültig!"
Kein Räusperer. Reichenwallner frägt:
"Nur 96 Prozent der Spieler? Wie kann das sein?"
Keller, immer noch grinsend:
"Gino Windmüller wollte ihn behalten. Der hat schon so viele Positionen unter Schmidt gespielt,
dass er ein wenig durcheinander ist und glaubt, er sei jetzt die Eckfahne."
Ganz langer Räusperer von Reichenwallner:
"Finden Sie nicht, dass auch Sie sich hinterfragen lassen müssen, Herr Keller? Zuerst eine massive
Korrektur des Saisonzieles, dann der Rauswurf Ihres Trainer-Wunschkandidaten, und ausserdem
musste der Verein einen ausrangierten Stadtbus anschaffen, damit Mannschaft und Testspieler
darin Platz finden!"
Keller, immer breiter grinsend:
"Sehen Sie, Herr Reichenwallner, ich bin unantastbar. Wolbergs, Rothammer, alle wichtigen Leute
haben ihr Schicksal mit meinem verknüpft. Was wollen die mir denn anhaben? Mein Sturz wäre
auch deren Sturz."
Reichenwallner, hustend:
"Aber Herr Keller, was ist, wenn wir absteigen?!"
Keller steht auf, schnippt mit den Fingern. Müller beendet die Pressekonferenz. Die Glaskugel
füllt sich wieder mit Nebel...
Entsetzt schreie ich die Wahrsagerin an: "Was passiert mit unserem SSV?!"
Komm in der Winterpause wieder, sagt sie, die alte Hexe, und grinst. An irgendjemand erinnert mich dieses
Grinsen...