Beitrag: # 55195Beitrag
Iarwain
Fr 12. Feb 2021, 10:19
Hey @Nobnab und @Hille! Erstmal vielen Dank, dass ihr auf den recht kurzen Beitrag reagiert habt, der auch nicht wirklich in die Tiefe geht. Um ganz ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wie ich das ansprechen soll, denn bei mir stellen sich in diesem Zusammenhang viele Fragen über die Industrie Fußball, über die Verantwortung von den Konsumenten dieser Industrie - und hier ganz bewusst nicht gegendert - was das mit meiner Begeisterung für den Sport an sich zu tun hat etc. pp.
Zunächst einmal das Thema Suizid. Da stimme ich @Hille zu. Selbstmord ist nie nur die Entscheidung eines einzelnen Menschen. Ohne damit sagen zu wollen, dass ein Mensch, der sich selbst tötet, darüber keine Entscheidung getroffen hat. Die gesellschaftliche Komponenten, die einen Selbstmord unterstützen, werden oft gerne ausgeblendet, weil sich jede*r Einzelne so aus der Verantwortung ziehen kann. Wenn eine Frau, die mit einem hochbezahlten Fußballer liiert war, sich umbringt und es offensichtlich ist, dass sie nicht einfach schon immer labil war und Boateng alles in seiner Macht stehende unternommen hat, um sie aufzufangen, sondern im Gegenteil, sich getraut hat, die ganze Sache zu einer Schmutzkampagne zu machen, dann muss man sich schon die Frage stellen, wer welche Mitverantwortung trägt. Zu sagen, dass ihr Selbstmord ein singuläres Ereignis ist, das unabhängig von allen Ereignissen um sie herum geschehen ist, bedeutet, den Kopf in den Sand zu stecken. Boateng trägt eine Mitverantwortung und auch wir hier im Forum tragen eine Mitverantwortung. Keine moralische oder emotionale. Aber wir sind Teil dieses Teils der Gesellschaft. Wir gehen in die Stadien, kaufen Fanartikel, lesen Zeitschriften etc. Dass Boateng sich so verhalten kann, wie er das macht, hängt auch daran, dass die Fußballwelt ihm das erlaubt oder zugesteht, ihm nacheifert oder so ein Verhalten von ihm fordert. Soweit ich das mitbekommen habe, haben hunderte oder tausende Menschen einen wahren Shitstorm über diese Frau losgelassen und er hat das nicht unterbunden und sie davor geschützt. Zu diesem Selbstmord kommen ja noch andere Vorwürfe, wie Gewalt und Mobbing. Boateng ist dabei natürlich nur das neueste Beispiel. Beim FC Bayern ist sowieso ein ganzer Sumpf entstanden: Ribery, Höneß, Rummenigge sind dabei nur die zentralsten Figuren. Keine Ahnung, was da sonst noch los ist. Und ich frage mich halt, wie weit sowas in anderen "Vereine" normalisiert wird, wie z.B. beim SSV. Und natürlich steht in diesem Zusammenhang dann auch die Frage der generellen Gewalt gegenüber Frauen im Alltag. Ich gebe @Nobnab natürlich vollkommen Recht in Bezug auf die Frage von Konsequenzen und das Verständnis von richtig und falsch. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Reichen und Mächtigen. Es ist natürlich viel mehr eine systemische Frage.
Ich denke übrigens nicht, dass Boateng sich vor einem Gericht verantworten werden muss. Wie die wenigsten in unserer Gesellschaft, die so weit oben in der Nahrungskette stehen. Ich frage mich eher, ob es sonst irgendwelche Konsequenzen geben wird.
Last but not least: was tun? Letzten Endes ist mir klar, dass eine Gesellschaft, die so aufgebaut ist wie die unsere, solche "Phänomene" immer wieder hervorbringen wird. Dass sich daran grundsätzlich etwas ändern muss, ist mir auch klar. Aber das bedeutet ja nicht, dass man erst auf eine große Umwälzung warten muss. Ich bin zum einen froh, dass ich hier den Raum für Diskussionen dieser Art habe. Ich schätze das sehr. Gleichzeitig denke ich mir, dass das nicht genug ist bzw. nicht genug sein kann. Ich leben nicht in Regensburg und kann daher vor Ort nicht viel machen. Wir hatten vor einiger Zeit die Bewegung hier im Forum zu: Jahnfans gegen Rassismus. Vielleicht kann man ähnliches initiieren zum Thema Sexismus und Feminizid. Dafür bräuchte es natürlich eine weit gestreute Diskussion hier im Forum, ob und wie man sich zu diesem Thema positioniert. Würde aber im Umkehrschluss vielleicht auch dazu führen, dass mehr Frauen, die sich für Fußball interessieren, ihre Stimme erheben und solche Entwicklungen nicht erst ans Tageslicht kommen, wenn irgend jemand prominentes in die Schlagzeilen kommt.
Jahnfans gegen Rassismus!
* steht für: SSV Jahn Regensburg GmbH & Co. KGaA