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Re: Politik

Verfasst: Do 5. Okt 2017, 10:47
von micklas
onki hat geschrieben:
micklas hat geschrieben:
Die meisten Katalanen, die ich kenne, sind für mehr Autonomie, nur ganz wenige für die komplette Unabhängigkeit.
Das deckt sich mit meinen Einschätzungen bzw. Erfahrungen in Katalonien bzw. aus Gesprächen mit Katalanen bei Demos in Barcelona.
Hätte die spanische Regierung auf Augenhöhe einen föderalistischen Lösungsansatz/Kompromiss angeboten, wäre daraus niemal eine ausreichend starke Autonomie-Bewegung geworden (die von einem sehr hohen Prozentsatz der Katalanen allenfalls halbherzig getragen wird)...
Kann man so unterschreiben.
Puigdemont hat ja gestern signalisiert, zu Gesprächen unter Vermittlung Dritter (EU?) bereit zu sein. Rajoy will keinen Fuß breit nachgeben. IMHO sollte Rajoy mal seine gekränkte Eitelkeit bei Seite stellen und zugeben, dass es damals falsch war, Katalonien nicht mehr Autonomie zu gewähren. (wird wahrscheinlich nicht passieren).

Habe gestern mit Freunden in Katalonien gesprochen - deren Aussage: Rajoy ist ein Idiot und die jungen Leute, die auf der Straße für die Unabhängigkeit demonstrieren lockt vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Party, die dort stattfindet. Diese würden aber in ihrem Idealismus vergessen, dass eine Unabhängigkeit von Spanien dazu führt, dass man nicht mehr Teil der EU ist, keine Währung usw. Die Frage ist dann auch, was zB mit dem französischen Teil Kataloniens passiert. Sie sehen die Lage als angespannt an, aus der sich sehr schnell mehr entwickeln könnte.

Re: Politik

Verfasst: Do 5. Okt 2017, 10:51
von KLP
Ach, die EU nimmt doch alles dankend an. Wieso geht man davon aus, dass man dann sagt nö Katalonien kommt nicht in die EU?

Re: Politik

Verfasst: Do 5. Okt 2017, 11:01
von micklas
Weil du damit eine riesige Büchse an Problemen aufmachen würdest: Baskenland, Navarra, Nordirland, Südtirol, Venetien, Wallonie, Flandern, Teile der Slowakei in denen ungarisch gesprochen wird, Teile Ungarns, in denen Rumänisch gesprochen wird (und umgekehrt), Bretagne, Korsika, Schottland usw usf.

Re: Politik

Verfasst: Do 5. Okt 2017, 14:40
von Iarwain
micklas hat geschrieben:Weil du damit eine riesige Büchse an Problemen aufmachen würdest: Baskenland, Navarra, Nordirland, Südtirol, Venetien, Wallonie, Flandern, Teile der Slowakei in denen ungarisch gesprochen wird, Teile Ungarns, in denen Rumänisch gesprochen wird (und umgekehrt), Bretagne, Korsika, Schottland usw usf.
Jip, der imperialistisch-chauvinistische Charakter des bürgerlichen Europas würde dann plötzlich offen liegen. Überall, wo sich Menschen selbst ermächtigen wollen, werden sie auf die selben Reaktionen stoßen. Das wäre eine ernsthafte Krise des Kapitalismus.

Re: Politik

Verfasst: Do 5. Okt 2017, 14:53
von micklas
Iarwain hat geschrieben:
micklas hat geschrieben:Weil du damit eine riesige Büchse an Problemen aufmachen würdest: Baskenland, Navarra, Nordirland, Südtirol, Venetien, Wallonie, Flandern, Teile der Slowakei in denen ungarisch gesprochen wird, Teile Ungarns, in denen Rumänisch gesprochen wird (und umgekehrt), Bretagne, Korsika, Schottland usw usf.
Jip, der imperialistisch-chauvinistische Charakter des bürgerlichen Europas würde dann plötzlich offen liegen. Überall, wo sich Menschen selbst ermächtigen wollen, werden sie auf die selben Reaktionen stoßen. Das wäre eine ernsthafte Krise des Kapitalismus.
Ich glaube, hier geht es weniger um eine Krise des Kapitalismus sondern darum, ob Europa wieder in eine Vielzahl an kleinen Einzelstaaten zerfallen soll oder eben nicht. Ersteres hatten wir ja schon mal, lief nicht so prickelnd.
Die Antwort auf die ganze Sache kann eigentlich nur mehr Europa sein - welches dabei bewusst die Eigenheiten der einzelnen Kleinstaaten tolerieren sollte.
Hätten wir die Vereinigten Staaten von Europa, würde es keine so große Rolle mehr spielen, ob jemand aus Katalonien, aus Spanien oder aus dem katalonischen Teil Spaniens oder Frankreichs kommt.

Wenn ich mir die Aussagen der katalanischen Separatisten anschaue, kann ich einerseits eigentlich fast ausnahmslos zustimmen. Andererseits ist Katalonien ein Teil Spaniens und Teil der EU. Alles aufs Spiel zu setzen finde ich sehr gewagt und ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Bürger auch mit einer größeren Autonomie (siehe Baskenland, Navarra) zufrieden wäre. Man sollte halt hier nicht weiter den Fehler machen, Katalonien schlechter zu behandeln als die Basken.

Re: Politik

Verfasst: Do 5. Okt 2017, 14:59
von Hille
Iarwain hat geschrieben:
micklas hat geschrieben:Weil du damit eine riesige Büchse an Problemen aufmachen würdest: Baskenland, Navarra, Nordirland, Südtirol, Venetien, Wallonie, Flandern, Teile der Slowakei in denen ungarisch gesprochen wird, Teile Ungarns, in denen Rumänisch gesprochen wird (und umgekehrt), Bretagne, Korsika, Schottland usw usf.
Jip, der imperialistisch-chauvinistische Charakter des bürgerlichen Europas würde dann plötzlich offen liegen. Überall, wo sich Menschen selbst ermächtigen wollen, werden sie auf die selben Reaktionen stoßen. Das wäre eine ernsthafte Krise des Kapitalismus.
Das würde ich anders interpretieren. Katalonien mag da eine Ausnahme sein, aber im Großen und Ganzen gehts in diesen Separationsbewegungen nicht um eine Befreiung im Klassen-Sinne sondern das ist eher Nationalismus in Reinkultur. An der generellen Situation der arbeitenden Klasse ändert sich durch ein "unabhängiges" Katalonien, Schottland, Süd-Tirol, Altbayern usw. gar nichts, die Kapitalmärkte haben in"neuen" Kleinstaaten genausoviel Macht wie vorher.
Klar ist die EU wie sie sich heute darstellt ein bürgerlich-kapitalistisches Wirtschaftsbündnis und um nichts anderes gehts da, aber ich habe Europa immer als Möglichkeit gesehen. Damit sich Menschen selbst ermächtigen können, muss die Nation als reines Kunstprodukt des bürgerlichen 19. Jahrhunderts erst einmal aus den Köpfen raus. Sprich: je mehr Europa (Eurasien, Welt, ...), desto weniger Dinge, die die Klasse in sich geistig trennen.
Kleinstaaterei bewirkt meiner Ansicht nach das Gegenteil.

Edith: siehe micklas, der war schneller :D

Re: Politik

Verfasst: Fr 6. Okt 2017, 00:14
von onki
Hille hat geschrieben:
Iarwain hat geschrieben:
micklas hat geschrieben:Weil du damit eine riesige Büchse an Problemen aufmachen würdest: Baskenland, Navarra, Nordirland, Südtirol, Venetien, Wallonie, Flandern, Teile der Slowakei in denen ungarisch gesprochen wird, Teile Ungarns, in denen Rumänisch gesprochen wird (und umgekehrt), Bretagne, Korsika, Schottland usw usf.
Jip, der imperialistisch-chauvinistische Charakter des bürgerlichen Europas würde dann plötzlich offen liegen. Überall, wo sich Menschen selbst ermächtigen wollen, werden sie auf die selben Reaktionen stoßen. Das wäre eine ernsthafte Krise des Kapitalismus.
Das würde ich anders interpretieren. Katalonien mag da eine Ausnahme sein, aber im Großen und Ganzen gehts in diesen Separationsbewegungen nicht um eine Befreiung im Klassen-Sinne sondern das ist eher Nationalismus in Reinkultur. An der generellen Situation der arbeitenden Klasse ändert sich durch ein "unabhängiges" Katalonien, Schottland, Süd-Tirol, Altbayern usw. gar nichts, die Kapitalmärkte haben in"neuen" Kleinstaaten genausoviel Macht wie vorher.
Klar ist die EU wie sie sich heute darstellt ein bürgerlich-kapitalistisches Wirtschaftsbündnis und um nichts anderes gehts da, aber ich habe Europa immer als Möglichkeit gesehen. Damit sich Menschen selbst ermächtigen können, muss die Nation als reines Kunstprodukt des bürgerlichen 19. Jahrhunderts erst einmal aus den Köpfen raus. Sprich: je mehr Europa (Eurasien, Welt, ...), desto weniger Dinge, die die Klasse in sich geistig trennen.
Kleinstaaterei bewirkt meiner Ansicht nach das Gegenteil.
Ich teile da eher Hilles Einschätzung.
Die Beweggründe sind eher trivialer Natur.
Verklärte Roter-Stern-auf-schwarzem-Grund-Romantik sieht in diesen Tagen in vielen Begehren und Bestrebungen oft und gerne die klassische Klassenkampf-Fata-Morgana aufblitzen...

Es wird dort ein Agieren einer homogenen Masse suggeriert, ein Klassenbewusstsein in politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Herrschaftsverhältnissen unterstellt, wo solches nicht mal im Ansatz vorhanden ist - so leid es mir tut.
Woher soll denn plötzlich, der ganze hierfür nötige Intellekt herabregnen?

Ich habe vor 30 Jahren auch noch "Schritt für Schritt ins Paradies" gesungen und damals wie heute stehe ich dem autonomen Theorie-Ansatz der triple Oppression (Klassismus, Rassismus, Sexismus) näher als dem klassischen Kommunistischen Ansatz (Hauptwiderspruch/Kapitalismus, sonstige Nebenwiderwsprüche/Ausbeutung+Unterdrückung)...
Aber die Zeiten waren komplett andere - und mein idealistisches Ego muss die negativen Entwicklungen der Zeit akzeptieren und als Wahrheit hinnehmen. Das gnadenlose Wegbrechen der intellektuellen Schichten und Bewegungen...
Wo sind die Intellektuellen, die die richtigen Fragen stellen, aktuelle Geschehnisse deuten und in einen großen Zusammenhang stellen können? Sie führen ein Nischen-Dasein in versteckten Podcasts und Kulumnen. Weit davon entfernt in den Fluten des Lügenmeers gehört zu werden, geschweige denn zu einem Teile einer großen Bewegung zu werden. Ein paar selbsternannte oder installierte Medien-Intellektuelle, Prominenz-Marionetten wie Opium fürs Nischenvolk.
Wir sind weiter von einem Klassenkampf entfernt, als es sich die außerparlamentarische Linke eingestehen will.

"Besorgte Bürger" hinterfragen das 200-Euro-Handy des Flüchtlings -
nicht den 120.000 Euro-Porsche der Heuschrecke...

Der Aufstieg im Oben-und-Unten-Spiel ist das allgemeine Bestreben - nicht das Hinterfragen des Spiels.
"Wer wird Millionär?"
Kein Satz beschreibt die Gegenwart treffender...

Re: Politik

Verfasst: Fr 6. Okt 2017, 19:15
von micklas
Die Zentralregierung in Madrid entschuldigt sich für das harte Vorgehen der Polizei:


http://www.zeit.de/politik/ausland/2017 ... ng-spanien

Re: Politik

Verfasst: Sa 7. Okt 2017, 15:54
von micklas
Protokolle von Katalanen, die gegen die Unabhängigkeit sind:

http://www.jetzt.de/politik/protokolle- ... anien-sind

Re: Politik

Verfasst: So 8. Okt 2017, 11:50
von Iarwain

Re: Politik

Verfasst: So 8. Okt 2017, 19:45
von micklas
Hunderttausende demonstrieren gegen die Abspaltung Kataloniens:


http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... iano-rajoy

Re: Politik

Verfasst: Mo 9. Okt 2017, 09:50
von Sheriff
onki hat geschrieben: Wo sind die Intellektuellen, die die richtigen Fragen stellen, aktuelle Geschehnisse deuten und in einen großen Zusammenhang stellen können? Sie führen ein Nischen-Dasein in versteckten Podcasts und Kulumnen...
...und natürlich und vor allem: hier im Jahnground :wink:

was Katalonien (oder Katalanien?) betrifft bin ich ganz Demokrat und Dialektiker: Wenn es tatsächlich so ist, dass die Mehrheit einer Region sich abspalten will, dann sollen sie es tun dürfen, egal aus welchen Gründen und ob es richtig oder falsch ist - wenn es falsch ist, wird es die Zunkunft schon zeigen, und dann liegt im selbstbestimmt gemachten Fehler vielleicht immer noch mehr Erkenntnispotential als im womöglich richtigen, aber fremdbestimmten Verbleiben im Status-Quo.

Weil wir ja ein Fussball-Forum sind: Was wäre dann mit dem FC Barcelona? Würden die nach einer Abspaltung noch in der spanischen Liga mitspielen oder, quasi konkurrenzlos, in einer katalanischen Liga?

Re: Politik

Verfasst: Mo 9. Okt 2017, 10:36
von onki
Sheriff hat geschrieben: Weil wir ja ein Fussball-Forum sind: Was wäre dann mit dem FC Barcelona? Würden die nach einer Abspaltung noch in der spanischen Liga mitspielen oder, quasi konkurrenzlos, in einer katalanischen Liga?
Ich denke, dass könnte für Barca zum Desaster werden.
Wer will Barca noch gegen katalanische Dorf- und Kleinstadt-Vereine sehen?
Wer zahlt hierfür mordsmäßig TV-Lizenzen?

Könnte evtl. ein Theater ala Brexit werden?
Überall da raus wo es nicht passt, aber dort noch drin bleiben, wo man Vorteile hatte und haben wird...
Das typische wohl: Wasch mich, aber mach mich nicht nass!

Re: Politik

Verfasst: Mo 9. Okt 2017, 10:46
von Hille
Wäre halt dann Sache des Verbandes, ob Barca dann noch in der spanischen Liga spielt oder nicht. Der AS Monaco spielt ja auch in der französischen Liga und ist Mitglied des franz. Verbandes, obwohl Monaco ein eigener Staat ist.
Ausgeschlossen wäre es also nicht. Letztendlich wird das halt aber trotzdem eine politische Entscheidung werden.

Re: Politik

Verfasst: Mo 9. Okt 2017, 10:56
von onki
Hille hat geschrieben:Wäre halt dann Sache des Verbandes, ob Barca dann noch in der spanischen Liga spielt oder nicht. Der AS Monaco spielt ja auch in der französischen Liga und ist Mitglied des franz. Verbandes, obwohl Monaco ein eigener Staat ist.
Ausgeschlossen wäre es also nicht. Letztendlich wird das halt aber trotzdem eine politische Entscheidung werden.
Wobei Monaco ein Stadtstaat (Fürstentum) ist und hier eine Sonderrolle einnimmt.
Mit Katalonien haben wir eine komplette Region, die sich abspalten möchte, ein eigenes Land werden will.
Hier wird wohl es wohl seitens Spanien wenige bis keine Zugeständnisse geben, bzw. keine Rosinenpickerei zugelassen. Hier sehe ich eher Parallelen zum Brexit. Nach dem Motto "Austritt mit allen Konsequenzen" (auch den nachteiligen). Warum sollte ein Verbund dem Austretenden mit Geschenken und Zugeständnissen entgegenkommen, quasi couragieren, wenn doch dem Verbund mit jedem Austritt eine faktische Schwächung zugefügt wird?